"Meine Scham ist riesengroß"

Frau Grochowina, Sie haben die Veröffentlichung der ForuM-Studie Ende Januar mitverfolgt. Was waren Ihre ersten Gedanken?

Nicole Grochowina: Erstens: Meine Scham ist riesengroß. Zweites: Es gibt viel zu tun.

Was konkret?

Ich denke, es ist bei der Präsentation der Studie und durch die Voten der Betroffenen sehr deutlich geworden, dass wir die Fälle sexuellen Missbrauchs besser aufarbeiten müssen. Auch in der bayerischen Landeskirche. Viele Betroffene wurden laut der Studie ausgebremst und haben sich hilflos gefühlt. Es braucht daher unbedingt ein konziseres Recht auf Aufarbeitung für die Betroffenen. Da haben wir immer noch ein signifikantes Defizit. Daher habe ich einen entsprechenden Antrag in die Synode eingebracht, der Ende April bei der Frühjahrstagung in Coburg behandelt werden soll.

"Bei der Aufarbeitung müssen wir proaktiver werden"

Die Landessynode hat im April 2020 ein Präventionsgesetz beschlossen, in dem ausdrücklich auch die Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs angemahnt wird. Was fehlt Ihnen da?

Ich habe dem Gesetz mit ganzem Herzen zugestimmt, denn ich halte es grundsätzlich für sehr gut und wichtig. Aber bei der Aufarbeitung müssen wir proaktiver werden. Im Gesetz steht bislang nur, dass Landeskirche und Diakonie Betroffene von sexualisierter Gewalt bei der individuellen Aufarbeitung "unterstützen". Was ist damit gemeint? Unterstützung ist mir zu weich, das muss mehr werden.

Was meinen Sie genau mit proaktiv?

Meine Vorstellung ist, dass die Landeskirche bei Fällen sexualisierter Gewalt über den Einzelfall hinausschaut. Dass sie zum Beispiel in den Gemeinden proaktiv nach weiteren möglichen Betroffenen sucht. Ob das juristisch und datenschutzrechtlich möglich ist - das muss man dann sehen.

Und ich finde es auch nicht richtig, dass die Betroffenen so explizit in der Beweispflicht stehen, wenn sie sexuellen Missbrauch erlebt haben. Das macht sie zum Bittsteller. Außerdem müssen wir schauen, wie wir Hindernisse für Betroffenen abbauen können. Braucht es zum Beispiel mehr Personal oder finanzielle Mittel oder eine inhaltliche Erweiterung für die Fachstelle für den Umgang mit sexualisierter Gewalt in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern? Braucht es eine andere Haltung? Da gibt es viele Ansatzpunkte.

"Wir als Synode müssen jetzt reagieren"

Das Präventionsgesetz soll 2025 ohnehin novelliert werden. Wäre das nicht ein geeigneter Zeitpunkt, die proaktive Note bei der Aufarbeitung einzufügen?

Die Betroffenen haben uns gezeigt, dass es jetzt sehr, sehr dringend ein solches Recht auf Aufarbeitung braucht. Wir dürfen nicht bis 2025 warten, das wäre unangemessen den Betroffenen gegenüber. Als Historikerin ist mir außerdem wichtig, die Vergangenheit aufzuarbeiten. Dann können wir vernünftig in die Zukunft gehen. Wir als Synode müssen also jetzt reagieren. Von daher ist mir klar, dass wir vor allem aufs Präventionsgesetz schauen und beim Paragrafen, der sich mit Aufarbeitung beschäftigt, nachschärfen müssen.

Die ForuM-Studie soll EKD-weit aufgearbeitet werden. Dazu gibt es das eigens eingerichtete Beteiligungsforum. Wäre denn Ihr Vorgehen dann nicht ein bayerischer Alleingang?

Nein, gar nicht. Mir geht es nicht darum, voreilig zu sein. Ich sitze ja auch in der EKD-Synode und schaue ganz genau hin, was das Beteiligungsforum macht. Was das Beteiligungsforum im November in die EKD-Synode einbringen wird, sollte dann ja auch entsprechend in das bayerische Präventionsgesetz einfließen. Die Weichen dazu, dass also der bayerische Landeskirchenrat das Gesetz überarbeiten möge, kann man ja schon mal jetzt bei der Frühjahrstagung stellen. Dann muss man im Herbst nicht bei Null anfangen.

Hatten Sie eigentlich Kontakt mit Betroffenen, als Sie Ihren Antrag für die Synode gestellt haben?

Natürlich. So etwas kann man nur im Gespräch mit Betroffenen machen. Diejenigen, mit denen ich gesprochen habe, finden den Antrag und die Forderung nach einem deutlicheren Recht auf Aufarbeitung und die Haltung dahinter sinnvoll. Wäre es anders, hätte ich den Antrag nicht gestellt.

"Das sind wir den Betroffenen schuldig"

Sie waren lange Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte an Universitäten. War das nochmal ein zusätzlicher Antrieb für Sie, aktiv zu werden?

Ja, auf alle Fälle. Ich war als Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte an den Universitäten Jena und Erlangen-Nürnberg. Es gehört zu diesem Amt, sensibel zu sein für Formen von sexualisierter Gewalt. Die Aufarbeitung für die Betroffenen zu verbessern, ist mir daher ein echtes Anliegen. Und ich bin gespannt auf die Debatte in der Synode. Ich möchte keinesfalls Symbolpolitik betreiben. Ich bin für eine sachliche Auseinandersetzung, bei der wir um die Sache streiten und dann aber auch zu einer Entscheidung kommen. Das sind wir den Betroffenen schuldig.

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